Kaum zu glauben:
Aber als ich letzte Woche auf der A4 Richtung Eisenach unterwegs war, überholte ich direkt auf der Werratal-Brücke einen alten, beigefarbenen Wartburg – und das auch noch mit Blick auf die über Eisenach thronende Wartburg!

Ich war unterwegs zur Konferenz der Evangelischen Schwerhörigenseelsorge in Deutschland.
Zweimal Wartburg auf dem Weg zu dieser Konferenz – das konnte doch kein Zufall sein!
Zur Wartburg auf dem Berg fiel mir natürlich sofort was ein:
Dass sich Martin Luther dort ein knappes Jahr lang als Junker Jörg versteckt hielt.
Und dass er diese Zeit nutzte, um die Bibel zu übersetzen.
Nein. Nicht die ganze Bibel.
Dazu war die Zeit zu kurz. Aber das Neue Testament.
Das übersetzte er aus dem Griechischen ins Deutsche.
Warum er das machte?
Weil er wollte, dass die Leute verstehen!
Das taten sie nämlich nicht, selbst wenn sie ihre Ohren noch so sehr spitzten!
Sie konnten weder das Griechisch der Bibel noch das Latein ihrer damaligen Übersetzung.
Aber genau das wollte Martin Luther unbedingt: dass die Leute verstehen, was dort über Jesus geschrieben steht.
Ums Verstehen ging es auch bei unserer eintägigen Konferenz unterhalb der Wartburg:
Was tun wir, damit Schwerhörige uns gut verstehen?
Auch wir ‚übersetzen‘!
Nein. Nicht vom Griechischen ins Deutsche.
Sondern vom Laut in die Schrift.
Und von der ‚Schallübertragung durch die Luft‘ in ‚durch Mikrophone direkt in die Hörgeräte‘.
Da wir in unserer Konferenz neben mir noch weitere Schwerhörige haben, taten wir das sogleich an Ort und Stelle.
Also: wir legten eine Induktionsschleife.
Aktivierten die T-Spulen unserer Hörgeräte.
Und sprachen alle wie selbstverständlich in die Mikrophone der mitgebrachten Konferenzanlage.
Und: wir ließen jedes gesprochene Wort durch zwei Schriftdolmetscherinnen in Schriftsprache übersetzen und projektierten die an eine Leinwand.
Wer doch einmal nichts verstanden hatte, konnte so nachlesen, was gerade gesprochen wurde.
Hörstress gab es für uns Schwerhörige damit nicht.
Im Gegenteil: einer von uns sagte sogar, dass er die ganze Zeit über so gut gehört habe, dass sein Gehirn vollständig unterfordert gewesen sei …
Noch mal zurück zu dem alten, beigefarbenen Wartburg auf der A4.
Der fuhr da wahrscheinlich, weil diese Autos bis 1991 in Eisenach produziert wurden
Aber das musste ich erst recherchieren.
Was ich an dem übrigens zuerst wahrgenommen habe, war sein Geruch.
Aber beim Überholen habe ich ihn mit meinen Hörgeräten auch deutlich gehört:
in unverwechselbarem Takt seines Zweitakt-Ottomotors tuckerte er mit gemächlichen 100 Stundenki-lometern über die Werratal-Brücke Richtung Eisenach und Wartburg …

Beate Gärtner, Schwerhörigenseelsorgerin