Ich erhalte eine Mail aus einem Ortsverein für Schwerhörige.
In dieser Mail heißt es:
„Bei uns ergab sich eine Diskussion zu einem Rundbriefbeitrag eines Lesers mit dem Inhalt:
‚Was will ich nicht hören!‘
Eine weitere Ergänzung ergab sich daraus:
‚Ich genehmige mir die Freiheit zu entscheiden, was ich hören möchte und ändere mein Programm (Anmerkung: in den Hörgeräten).
Das kann der Guthörende eben nicht‘.”
Ich erfahre von der Verfasserin der Mail, dass der Rundbrief dieses Ortsvereins regelmäßig in Arztpraxen ausliegt.
Sie schreibt:
Ich befürchte „ … bei betroffenen Lesern, die vor einer Ver-sorgung stehen, einen Rückzug bzw. Ablehnung, denn die kennen ja nicht Ihren Beitrag mit der positiven Erfahrung mit dem, was wieder hörbar ist.
Oder man müsste beides nebeneinander stellen.“
In diesem Ortsverband diskutieren sie also die Frage, ob und wie sie den oben erwähnten Rundbriefbeitrag in ihrem nächsten Rundbrief veröffentlichen.
Ich verstehe das sehr gut!
Denn es geht bei dieser Frage um die rechte Balance zwischen ‚der Freiheit etwas nicht hören zu wollen‘ und ‚dem Segen, möglichst viel zu hören‘.
Ich will das mal auf mich übertragen.
Wenn ich mir – wie etwa in meinem Ermunterungstext ‚Stille‘ beschrieben – die Freiheit nehme, in meiner Mittagspause an einem Teich den Aufsitzrasenmäher nicht hören zu wollen und deshalb meine Hörgeräte auf ‚Umgebung stumm-schalten‘ schalte, dann tue ich das, weil ich genau weiß, wie ich meine Hörgeräte und andere Hilfsmittel ansonsten bestmöglich nutze –
und warum ich das tue: nämlich, um zu hören!
Deshalb würde ich in einem Gespräch mit einer schwerhörigen Klientin – die mir gegenüber ihre nuschelnden Mitmenschen beklagt und meint, dass alle nur etwas deutlicher mit ihr sprechen müssten, und die mir dann noch erzählt, dass sie schon gar nicht mehr unter Leute gehe, weil sowieso alle so rücksichtlos seien – erst einmal davon ausgehen, dass diese Klientin nicht weiß, wie sie Hörgeräte und andere Hilfsmittel bestmöglich nutzt –
und mit keiner Silbe von der Freiheit, etwas nicht hören zu wollen, sprechen!
Ich würde diese Klientin statt dessen fragen, ob sie bereits mit Hörgeräten versorgt sei.
Ist sie es nicht, würde ich ihr dringend eine Hörgeräteversorgung empfehlen.
Ist sie es, würde ich sie fragen, ob ihre Hörgeräte gut eingestellt seien und ob die T-Spule aktiviert sei.
Ich würde ihr empfehlen, die Hörgeräte gleich morgens in die Ohren zu stecken und sie erst abends wieder raus zu nehmen.
Und ich würde sie dazu ermuntern, unter Leute zu gehen und die dann freundlich über ihre Schwerhörigkeit zu informieren…
Es gibt einen Satz aus der Bibel.
Den finde ich sehr passend, obwohl er ein völlig anderes Thema betrifft.
Er lautet: „Seht … zu, dass die… Freiheit für die Schwachen nicht zum Anstoß wird!“
Für mich heißt das: Von meiner Freiheit zu entscheiden, nicht alles hören zu wollen, rede ich erst dann offensiv, wenn ich zuvor unkundige Schwerhörige zum Hören ertüchtigt habe.
Erst in dieser Balance wird meine Freiheit allen zum Segen.