SeelsOHRge – 18. Ausgabe
Hören und Verstehen
zwischen Gelassensein und Stress
Liebe Leserinnen, Liebe Leser,
im Mittelpunkt dieser SeelsOHRge steht das Thema „Stress“. Dies schreibe ich als gebürtiger Pfälzer kurz vor Fasching und denke an eine alte Büttenrede der Mainzer Fastnacht. Ist lange her, den Namen vergaß ich leider, den Text nie: „Morjens brauch ich ä Pill, dass mer‘s Friehstick schmeckt.“ Werden wir bald täglich eine Pille brauchen, um den Stress zu entstressen?
Das englische Wort meint ja „Anspannung, Druck“. Mir kommt der Gedanke an den Räu- ber Prokrustes („Ausstrecker“) aus der griechi- schen Mythologie. Dieser bot nichtsahnenden Reisenden sein Gästebett an. War das Opfer zu groß für das Bett, hackte ihm der Unhold Gliedmaßen ab. War es zu klein, wurde es wie bei der Streckfolter auseinander gezogen. Der Held Theseus gab zuletzt dem Bösewicht dessen eigene Medizin zu schmecken.
Die Geschichte ist ein Sinnbild dafür, wenn man gegen seinen Willen in etwas hineinge- zwängt wird, das man lieber vermeiden möch- te. Nun gibt es aber „guten“ und „schlechten“ Stress. Das sinnbildlich verstandene Prokrus- tesbett und alle psychischen Anspannungen, die uns leer und ausgebrannt werden lassen, stehen für die schlechte Seite, alles aber, was unseren Geist positiv anspannt, z. B. Lust am Lernen, eine gut bewältigte Aufgabe, sind „guter“ Stress. Es wird nie möglich sein, nur guten Stress zu erzeugen, wir müssen leider auch mit dem schlechten leben. Versuchen wir, eine gelungene Mischung herzustellen – unsere Beiträge wollen darüber nachdenken.
Ralf Maier